Wachsstockfest in Naumburg

Wachsstockfest in Naumburg

Die Nachfeier des Mährisch-Neustädter Wachsstockfestes geht auf eine alte Tradition zurück..Es handelt sich hierbei um die alljährliche feierliche Einlösung eines uralten Gelübdes, das vor 587 Jahren in der Stadt Mährisch-Neustadt im heutigen Tschechien abgelegt wurde, als die damals noch deutsche Bevölkerung in großer Kriegsgefahr war. Mährisch-Neustadt ist, wenn auch der Name anderes vermuten lässt, das älteste mit Stadtrechten ausgezeichnete Gemeinwesen in Mähren, welches ihr – nach 10-jährigem planmäßigen Aufbau - im Jahre 1223 nach Magdeburger Recht verliehen wurde, wonach sie als königliche Stadt direkt dem böhmischen König unterstand. Nach dem Tartarensturm (1241) besiedelte Bruno von Schaumburg als Bischof von Olmütz und Vertrauter des böhmischen Königs Wenzel I. weite Teile Nordmährens mit Bau- und Handwerkern seiner norddeutschen Heimat, darunter auch Mährisch-Neustadt und seine Umgebung, in der zu dieser Zeit viele deutsche Dörfer gegründet wurden.


Nachdem der tschechischen Reformators Jan Hus im Jahre 1415 als Ketzer verbrannt worden war und sich seine empörten (meist tschechische) Anhänger gegen König Wenzel II. und die katholische Kirche auflehnten, entbrannte schließlich ein blutiger Bürgerkrieg, in dem sich die radikalisierte Untergruppe der Taboriten durchsetzte und es schließlich vielmehr um politische als um religiöse Auseinandersetzungen ging. In dieser Zeit entstanden regelrechte hussitische Heere, die sogar den Einmarsch Kaiser Sigismunds nach Böhmen zur Unterstützung König Wenzels abwehren konnten und sich dann als wilde, brandschatzende, plündernde und schändende Horde gegen katholische, königstreue Städte aufmachten. Ein solches Heer stand nun am Tage vor Mariä Himmelfahrt im Jahre 1424, in Mitten dieser Hussitenkriege, vor der königlichen Stadt Mährisch-Neustadt und zündete bereits die Vorstadt an. Als die übermächtigen Feinde - wie zunächst nur mündlich überliefert wurde - ein an der Stadtmauer gelegenes Minoritenkloster auslöschten und die Mönche in Pechfässern verbrannten, blieb den dem Verderben ausgelieferten Bürgen der Stadt nur noch das innige Flehen um göttliche Hilfe, welches besonders die Frauen an die Gottesmutter richteten. Die Männer gelobten einen alljährlichen Bußgang um die Stadtmauern verbunden mit einem Fasttage, wenn sie Rettung erhalten würden, und eine junge Frau namens Cordula, die aus dem Nachbarort Littau kommend vom dazwischen liegenden Pinker Berg aus das Unheil sah, gelobte der Gottesmutter, dass sie alljährlich aus eigenen Mitteln soviel Wachs besorgen würde, um daraus mit eigenen Händen einen Wachsstock zu ziehen, der die gesamte Stadtmauer umspannt, wenn doch die Stadt nur gerettet werden würde. Als die Feinde tatsächlich völlig unerwartet innehielten und die Stadt verschonend abzogen, konnten die Neustädter dies nur damit erklären, dass ihre Bitten erhört wurden. Der Legende nach berichtete die fromme Cordula, dass sie mit eigenen Augen sah, wie eine riesige Frauengestalt auf den Wolken über der Stadt schwebte und mit ihrem schützenden, ausgebreiteten blauen Mantel das Feuer abwehrte, was die Angreifer in Angst und Schrecken versetzt hätte.

 
 

Das Wachsstockgelöbnisbild zeigt daher auch gerade diese Szene mit der über der Stadt schwebenden Gottesmutter Maria. Mag sein, dass es sich in nüchterner Sichtweise vielleicht nur um ein heftiges Gewitter gehandelt hat, dessen Regen das Feuer löschte und dessen Erscheinungen - möglicherweise sogar ein an eine Frauengestalt erinnerndes Wolkenbild – die Angreifer verängstigte. Es bleibt, dass die Stadt einem Wunder gleich vor dem sicheren Untergang bewahrt wurde. Gott hatte ihnen dadurch nicht nur Ihr Leben, Hab und Gut geschenkt, sondern mit Sicherheit auch einen noch festeren Glauben. In tiefer Dankbarkeit priesen die Geretteten Maria und übertrugen ihr Gelübde - und besonders das der Cordula, das sie selbst noch 16 Jahre lang erfüllt haben soll, von Generation zu Generation über nun mehr als ein halbes Jahrtausend. Dabei übernahmen die Aufgabe der Cordula angesehene Bürgersfrauen, die Wachstockfrauen, deren Statut im Jahre 1580 erstmals durch den Olmützer Bischof bestätigt wurde.
In früheren Jahrhunderten gab es nur während der Schwedischen Besatzungszeit (1642 – 1650) und durch das allgemeines Bittgängerverbot von Kaiser Josef II im Jahre 1781. Unterbrechungen dieser Tradition. Selbst während einer kurzen Zeit des Utraquismus und auch während der Reformationszeit überdauerte das Gelöbnis. Einen besonderen Aufschwung erhielt das Fest während der Romantik. So wurde im Jahre 1822 das Wachstockfraueninstitut gegründet, deren Geschäftsordnung noch heute Gültigkeit hat. Es schreibt im Wesentlichen fest, dass 12 ehrbare Matronen besonders durch den feierlichen Umzug mit dem jährlich gestifteten 41 Pfund schweren Wachsstock am Sonntag nach Mariä Himmelfahrt die dankbare Erinnerung an die Gnade der Gottesmutter wach halten. Es ist sogar festgeschrieben, dass im Falle eines kleineren Wachsstockes das eingesparte Wachs als Messkerzen gespendet werden soll. Die Wachsstockfrauen sind aber auch verpflichtet zu allen hohen kirchlichen Feiertagen in ihrer besonderen Tracht (nach Altwiener Art) im Hochamt zu erscheinen und haben dafür Sorge zu tragen, dass der Wachstock während einer jeden heiligen Messe entzündet wird. Sie sind aber auch angehalten, für die Weckung und Belebung der sittlichen und religiösen Gefühle heranwachsender Frauen - nicht zuletzt durch eigenes gutes Beispiel - zu sorgen. Aus der Folgezeit stammt auch die Tradition, die damals moderne Schubertmesse (komponiert im Jahre 1826) während des Festgottesdienstes zu singen.
Ab 1941 konnte das Fest nicht mehr in der alten Heimat gefeiert werden. Bis 1944 wurde es von der nationalsozialistischen Stadtführung tatsächlich aus Verkehrssicherheitsgründen verboten, 1945 sorgte die Sowjet-Armee dafür und ab 1946 die Vertreibung der Deutschen aus Mährisch-Neustadt.
Diese wurden vornehmlich in Mittelhessen angesiedelt und feiern seit 1949 das Fest wieder in Ihrer Patenstadt Limburg. Ein Teil der Mährisch-Neustädter wurde aber in Nordhessen, vornehmlich im Kreis Wolfhagen und besonders im katholischen Naumburg, angesiedelt. Bereits seit dem 11.8.1946 trifft sich dieser Teil der Heimatvertriebenen alljährlich in und an der Weingartenkapelle in Naumburg, um dieses Fest zu begehen, was ab 1949 als Nachfeier des Limburger Festes fortgeführt wurde. Weil (im Gegensatz zu Limburg) die direkt in Naumburg lebenden Mährisch-Neustädter durchaus einen merklichen Teil der katholischen Kirchengemeinde ausmachten (unter ihnen sogar 3 Wachstockfrauen), wurde sogar für eine gewisse Zeit ab 1951 der in Limburg geweihte Wachsstock in der Naumburger Pfarrkirche abgebrannt, wie im Verkündigungsbuch der Naumburger Kirchengemeinde durch Stadtpfarrer Josef Kreß verzeichnet ist, der die Mährisch-Neustädter und auch ihr mitgebrachtes Gelöbnisfest warmherzig in die Kirchengemeinde aufgenommen hat.

 

Die Liturgie der Naumburger Nachfeier des Wachstockfestes wurde anfangs von Pfarrer Emil Wanke zelebriert, was er über viele Jahre hinweg (jeweils eine Woche zuvor) bereits in Limburg getan hat. Pfarrer Wanke, der noch Kaplan in Mährisch-Neustadt war und dann als Pfarrer in Gudensberg wirkte, hat durch seine mitreißende Hingabe wohl auch dazu beigetragen, dass dieses Fest der Mährisch-Neustädter Heimatvertriebenen schnell auch von den einheimischen Naumburgern angenommen wurde. Bald war aber auch Stadtpfarrer Karl Rudolf und später sein Nachfolger Ulrich Trzeciok Co-Zelebrant, der den Festgottesdienst später über viele Jahre allein mit großer Würde und Anteilnahme gehalten hat, zumal er selbst ja auch als Kind aus seiner schlesischen Heimat vertrieben wurde. Nach seinen Übertritt in den Ruhestand führt er dies weiter und wird dabei nun von seinem Nachfolger im Amt, Stadtpfarrer W. Johannes Kowal, begleitet. Auch hierin wird deutlich, dass dieses Fest inzwischen ein fester Bestandteil des Naumburger Kirchenjahres geworden ist, auch wenn kaum noch gebürtige Mährisch-Neustädter gegenwärtig sind.
In Limburg hingegen wird das Fest ausschließlich von den zusammenkommenden, naturgemäß immer weniger werdenden Mährisch-Neustädtern abgehalten und verebbt langsam von einem mehrtägigen die ganze Stadt einnehmenden Heimatfest (bis in die 70-iger Jahre hinein) zu einem kleinen Treffen weniger Verbliebener. Allerdings wird seit einigen Jahren sogar in Mährisch-Neustadt selbst, das jetzt Unicov heißt, in der dortigen katholischen Gemeinde - also von Tschechen- das Wachsstockfest gefeiert, was eine ganz besondere Qualität hat.
Trotz der unübersehbaren Überalterung konnte das Wachsstockfraueninstitut noch einmal Nachwuchs aus der Generation der Flüchtlingskinder gewinnen, so dass letztens, nach vielen Jahren, sogar wieder in Naumburg eine Wachstockfrau zugegen sein konnte und wohl auch wieder in diesem Jahr.
Das Wachsstockfest in Naumburg ist dabei nicht nur die Aufrechterhaltung einer liebenswerten uralten Tradition, oder ein nettes Spätsommerfest unter freien Himmel bei Bratwurst, Bier und Blasmusik. Es ist auch mehr als eine Gedächtnisfeier an Krieg und Vertreibung mit einer ergreifenden Liturgie untermalt von Chorklängen und sonst seltener zu hörender Kirchenlieder. Vielmehr ist es auch ein Fest des festen Vertrauens, der tiefen Dankbarkeit und der unerschütterlichen Treue gegenüber Gott und der Zuversicht auf die Fürsprache der Gottesmutter Maria, wenn diese erfleht wird. Nicht zuletzt hat es deshalb auch seinen besonderen spirituellen Platz im Rahmen der Marienverehrung gefunden. All dies zusammen sind wohl wesentliche Bestandteile einer erfüllten Gottesbeziehung. Darum kann dieses Fest auch heute noch (und ganz bestimmt auch hier in Naumburg) eine für uns alle heilsame Botschaft übermitteln.

 

Vielleicht hat aber sogar unter uns der eine oder andere so einen kleinen „Wachsstock“, der ihm immer aufs Neue dankbar werden lässt für zuteilgewordene göttliche Gnade; und er kann durch ihn - also die wach gehaltene Erinnerung - das Glücksgefühl einer solchen Errettung immer wieder erfahren und so auch mit einer immer größeren Gottesnähe belohnt werden.
Matthias Raschendorfer im Juli 2011


Text und Bilder wurden uns freundlicher Weise von Herrn Matthias Raschendorfer zur Verfügung gestellt.


 

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W. Johannes Kowal
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