Die „sieben Fußfälle“ bei der Weingartenkapelle in Naumburg

Die Weingartenkapelle in Naumburg   Geweiht zu Ehren der Gottesmutter Maria
Die Weingartenkapelle in Naumburg Geweiht zu Ehren der Gottesmutter Maria

Ein Wort zuvor:

Schon früh sind die Christen in Jerusalem in andächtiger Erinnerung den Kreuzweg Jesu nachgegangen. Pilger aus ganz Europa haben dort diese Form der Kreuzverehrung kennengelernt, nach der Zeit der Kreuzzüge war sie im Abendland weithin bekannt. Der Kreuzweg mit den 14 Stationen, wie wir ihn aus jeder katholischen Kirche kennen, hat seine endgültige Form freilich erst um 1750 gefunden. Eine Frühform mit nur sieben Stationen, die "Sieben Fußfälle", ist etwa seit 1650 bekannt. Diese Stationsbilder waren nicht in der Kirche zu finden, sondern wurden im Freien aufgestellt, wie in Naumburg an der Weingartenkapelle. An einer der Steinsäulen ist die Jahreszahl 1734 eingemeißelt.

Vordergründig gesehen betrachten die Kreuzwegstationen den Leidensweg Jesu. Wenn wir genauer hinsehen, finden wir dort auch "Schlüsselszenen" unseres eigenen menschlichen Lebens dargestellt: Das Leid der Menschen in der Welt zu allen Zeiten. Jesus fällt unter der Last des Kreuzes auf die Knie. Wir finden in ihm jenen Gott, der freiwillig mit uns in die Erniedrigung und in das Dunkel des Lebens geht; …… und durch das Dunkel hindurch.

In Ehrfurcht und Dankbarkeit beugen wir vor ihm die Knie: "Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst."

Geistlicher Rat Ulrich Trzeciok, Stadtpfarrer i.R.
Naumburg, am Fest der Kreuzerhöhung 2011

Die unterdrückende Hand 
Die unterdrückende Hand
 

1. Fußfall: Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz

Kein Wunder! Seit dem Abendmahl mit den Jüngern hat er wohl nichts mehr gegessen und getrunken. Kerkerverlies, Gerichtsverhandlung, Schläge, Blutverlust, Schmerzen und die Gemeinheiten der Menschen haben ihn geschwächt. Er ist sehr müde. Die Last des Kreuzes geht über seine Kraft. Er fällt - und steht doch wieder auf. Wir begegnen dem Herrn in allen, die versuchen, die harte Wirklichkeit ihres Lebens anzunehmen.

Wir finden ihn bei denen, die ihr Leben stumpf über sich ergehen lassen, aber auch bei denen, die unter der Last des Lebens verzweifeln und nicht mehr aufstehen wollen. - Jesus trägt das Kreuz, das viele Menschen tragen.

Gütiger Gott, lass alle Menschen, die nach dem Sinn ihrer Lebenslast fragen, eine Antwort finden. Gib ihnen die Kraft, ihre Hoffnungslosigkeit zu überwinden.

So bitten wir durch Christus, unsern Herrn. Amen

Die liebende Hand 
Die liebende Hand
 

2. Fußfall: Jesus begegnet seiner Mutter

Kriegsteilnehmer haben berichtet: Im feindlichen Granatenhagel, von Splittern verwundet, haben junge Soldaten in ihrer Todesangst nach der Mutter geschrien, wie die kleinen Buben. Die aber war weit weg, konnte nicht sehen und helfen.

Maria stand am Straßenrand und sah ihren Sohn unter der Last des Kreuzes vorbei wanken. Ihm helfen konnte auch sie nicht, nur mitleiden. Viele spöttische, böse, sensationslüsterne Blicke treffen Jesus auf seinem Weg. Darunter einer, der voll Liebe, Schmerz und Abschied ist.

Wir begegnen dem Herrn in Menschen, die trotz eigener Sorgen noch die Not der anderen sehen. Wir finden den Herrn bei denen, die auch in Not zueinander stehen. Wir finden den Herrn in denen, die wenigstens auf einen Blick der Liebe und des Mitleids hoffen. - Jesus trägt das Kreuz, das viele Menschen tragen.

Gütiger Gott, hilf uns, dass wir durch unsere Liebe zur Versöhnung und zum Frieden unter den Menschen beitragen.

So bitten wir durch Christus, unsern Herrn. Amen

Die helfende Hand 
Die helfende Hand
 

3. Fußfall: Simon hilft Jesus das Kreuz zu tragen

Das Kreuz lastet immer schwerer auf seinen Schultern. Die Jesus liebten, sind machtlos. Die helfen könnten, wollen nicht. Die Soldaten greifen einen Bauern auf, der von der Feldarbeit kommt. Er ist müde von der Arbeit und muss gezwungen werden. Was wird das für eine Hilfe sein?

Simon hört hin auf die Botschaft des Kreuzes. Dann weiß er, wie seine Hilfe sein muss. Später hören wir in der "Apostelgeschichte" , dass seine beiden Söhne nach Ostern zur Jerusalemer Christengemeinde gehören.

Wir begegnen dem Herrn in allen Menschen, die sich ihren Nächsten nicht aussuchen können und dennoch helfen. Wir finden ihn bei denen, die einen Teil ihres Lebens verschenken im Dienst am Mitmenschen; aber auch in allen, die Hilfe von anderen dankbar annehmen.
- Jesus trägt das Kreuz, das viele tragen. 


Vater, der du uns liebst, öffne unsere Augen für die Not der Mitmenschen und gib uns den Mut, da anzupacken, wo wir helfen können.

So bitten wir durch Christus, unsern Herrn. Amen

Die mutige Hand 
Die mutige Hand
 

4. Fußfall: Veronika reicht Jesus das Schweißtuch

`Vera icon`= das wahre Abbild.

Eine Frau wagt es, dem Todeskandidaten einen Liebesdienst zu erweisen, eine kleine Erfrischung. Er kann mit dem Tuch sein von Blut und brennendem Schweiß überströmtes Gesicht abwischen. Zum Dank erhält sie sein Gesicht eingeprägt: Das Gesicht dessen, der aus Liebe zu den Menschen leidet und am Kreuz sterben wird. Das ist die wahre Ikone, das Gesicht unseres Gottes, der Mensch geworden ist.

Wir begegnen dem Herrn in allen Menschen, deren Gesichter von Gewalt, Schmerz, Leid und Angst gezeichnet sind. Wir finden ihn in den Menschen, die verlassen und verraten wurden, und dennoch Worte des Dankes finden; und auch in denen, die ihre Furcht überwinden und sich mutig ihrer Umwelt stellen. - Jesus trägt das Kreuz, das viele Menschen tragen.

Gütiger Gott, lass uns nach dem Beispiel der Veronika Menschen sein, die sich vom Schicksal anderer berühren lassen und konkrete Hilfe leisten und nicht nur über eine bessere Welt meditieren.

So bitten wir durch Christus, unsern Herrn. Amen

Die schlagende Hand 
Die schlagende Hand
 

5. Fußfall: Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz

Jesus ist allein unter einer erbarmungslosen Menge. Kein Helfer ist da, der ihm in seiner Not beisteht. Es ist ein Ereignis, das Neugierige und Gaffer anzieht. Der Gottessohn ist zum Schauspiel geworden für die Welt.

Immer wieder werden in Presse und Fernsehen Leidende zum Objekt gemacht: weil man Geld mit ihnen verdienen kann. Und wir werden durch die vielen Katastrophenbilder abgestumpft, wenn jemand wirklich unsere Hilfe nötig hat.

Wir begegnen dem Herrn in allen, die an ein Kreuz gefesselt sind. Wir finden ihn bei allen, die ausgestoßen und verachtet sind. Wir finden ihn aber auch bei allen, die anderen Schmerzen zufügen. - Jesus trägt das Leid, das heute viele Menschen tragen.

Herr, du weißt, was es bedeutet, zum Gespött der Leute zu werden. Erhalte uns die Fähigkeit des Mitgefühls, damit diese Erde nicht den Kältetod der Lieblosigkeit stirbt.

Erbarme dich über uns und über die ganze Welt. Amen

Die segnende Hand 
Die segnende Hand
 

6. Fußfall: Jesus spricht zu den weinenden Frauen 


Mitten im Meer von Hass und Hohn, von quälenden Wunden und brennendem Schweiß ein Moment Pause, ein Lichtblick: Frauen seines Volkes halten zu Jesus. Ihre Tränen zeigen: Sie lassen sich von seinem Schicksal berühren. Er jedoch verweist sie auf das Schicksal der geliebten Gottesstadt, und seines ganzen Volkes. Jesu Schicksal nimmt das schreckliche Ende Jerusalems vier Jahrzehnte später vorweg. 


Wir begegnen dem Herrn bei allen Frauen in der Welt, die unter Krieg und Gewaltanwendung, Not und Unterdrückung leiden müssen. Wir finden ihn bei den Müttern die ihre Kinder nicht am Leben erhalten können, weil sie nichts haben, was gegen Hunger und Krankheit helfen könnte. Wir finden ihn auch bei denen, die sich den Frauen zuwenden und für ihre Rechte und ihren Schutz eintreten. 


Herr, Frauen haben mit deinem Leiden mitgefühlt, und du hast dich mitten im eigenen Leid ihnen zugewandt.

Erbarme dich über uns und über die ganze Welt. Amen

Die schützende Hand 
Die schützende Hand
 

7. Fußfall: Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz

Zum dritten Mal bricht Jesus unter dem Kreuz zusammen. Jetzt liegt er ganz unten im Dreck der Straße, jetzt ist er wirklich am Ende seiner Kräfte - Was kann man da noch sagen? Und vor allem: Wie kann man an einen solchen Verlierer noch glauben? Jesus kennt seine Jünger und ihre Schwachheit. "Ihr werdet alle zu Fall kommen", hatte er zu Petrus gesagt. Wir begegnen dem Herrn bei denen, die sich stark fühlen und den Gedanken an Leid und Tod aus ihrem Leben verdrängt haben. Wir finden den Herrn bei allen, die in ihrem Leben am Boden liegen und nicht mehr weiter können. Wir können ihn bei uns selbst finden, wenn wir straucheln und gefallen sind.

Herr, während du unter der Last des Kreuzes zusammenbrichst, laufen wir oft den Götzen des Erfolges hinterher und verzweifeln, wenn der Erfolg ausbleibt. Hilf uns aufzustehen und weiterzugehen. Denn am Ende wartet nicht das Grab, sondern die Auferstehung. Erbarme dich über uns und über die ganze Welt. Amen
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Vor deinem Kreuz fallen wir nieder, o Herr, und deine heilige Auferstehung loben und preisen wir. Denn durch das Holz des Kreuzes kam Freude in alle Welt.

Schlusswort

"Gut, dass dich das Bistum Fulda nach Naumburg versetzt hat. Hier hast du auch eine andere, eine ungewöhnliche Aufgabe zu erfüllen. Die 7 Fußfälle wieder aufs Neue zu erstellen" hat mir Pfarrer Trzeciok damals ganz spontan gesagt, als ich ihn das erste Mal hier in Naumburg im Jahr 2008 besucht und getroffen habe. Weil mir dieser Begriff unverständlich war, habe ich ihn gefragt: Was ist das, die "7 Fußfälle?" Wir sind zur Weingartenkapelle gefahren und dann habe ich das gleich verstanden: sieben Stationen eines Kreuzweges.

Nach dem ich aber den Wandalismus gesehen habe, wurde mir schlecht vor "Wut". Als ich im August 2008 Pfarrer der Kirchengemeinde Naumburg geworden war, habe ich langsam angefangen mir Gedanken zu machen. Wenn JA dann WIE sollte ich die verschwundenen Kreuzweg-Bilder wieder neu erstellen? Kopieren oder ganz modern? Nein. Die Idee ist mir jedoch nicht von heute auf morgen in meinen Gedanken geboren. Das alles hat eine Weile gedauert. Ich habe lange mit mir selbst gekämpft und mit vielen Leuten, die in Naumburg lange gelebt oder ihr ganzes Leben verbracht haben, darüber gesprochen. Ich bin sehr oft diesen Weg der Fußfälle gegangen und habe die leeren Flächen sorgfältig betrachtet.

So lange bis ich nach und nach wirklich in den leeren Flächen die Szenen der 7 neuen Bilder, die ich für diesen Kreuzweg machen sollte, gesehen habe. Dann habe ich angefangen zu zeichnen und vorsichtig zu schnitzen, ich habe mich selbstverständlich an den Bildtafeln der Gebrüder Fleck, die die gestohlenen Fußfälle gestaltet haben, orientiert, allerdings nicht kopiert, wie es sich die Bildhauer gewünscht haben.

Ich gebe Ihnen diese 7 - meine Interpretation der Werke - in Ihren Besitz mit dem Wunsch, dass Sie wieder den Kreuzweg Jesu Christi hier auf dem Berg bei der Weingartenkapelle in Naumburg mit den Augen des Herzens ansehen und betrachten und in Ihr Inneres aufnehmen. Mehr noch möchte ich Ihnen wünschen und zwar, das was Pfarrer Trzeciok in seinem "Wort zuvor" geschrieben hat, dass "wir dort auch Szenen unseres eigenen menschlichen Lebens finden".

Ich wünsche Dir, dass die Gedanken beim Betrachten des Kreuzweges Jesu Christi tief in Dein Herz eindringen.

Auf dem Bild der 7. Station, in dem in Gedanken vertieften Gesicht, finde ich "ein Stückchen" von mir selbst. Ja, ich frage mich, wie oft habe ich mein Inneres für "das Leiden" verschlossen gehalten?

Wieslaw Johannes Kowal, Stadtpfarrer
Naumburg, am Christkönigsfest 2011



 

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Ich möchte mich bei all denen, die durch das Erstellen von Textbeiträgen, Filmen und Bildern unseren Internetauftritt ermöglichen, recht herzlich bedanken.


W. Johannes Kowal
Stadtpfarrer, Geistlicher Rat

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