Einige Informationen zur Geschichte des Mährisch-Neustädter Wachsstockgelöbnisfestes

Wachsstockfest in Naumburg

Geschichtlicher Hintergrund:

Bei der Nachfeier des Mährisch-Neustädter Wachsstockfestes in Naumburg handelt es sich um die alljährliche feierliche Einlösung eines recht alten Gelübdes, das im Jahr 1424 in der Stadt Mährisch-Neustadt im heutigen Tschechien abgelegt wurde, als die damals noch deutsche Bevölkerung in großer Kriegsgefahr war.


Mährisch-Neustadt ist, wenn auch der Name anderes vermuten lässt, das älteste mit Stadtrechten ausgezeichnete Gemeinwesen in Mähren, welches ihr nach 10-jährigem planmäßigen Aufbau im Jahre 1223 nach Magdeburger Recht verliehen wurde, und wonach sie als königliche Stadt direkt dem böhmischen König unterstand. Nach dem Tartarensturm (1241) besiedelte Bruno von Schaumburg als Bischof von Olmütz und Vertrauter des böhmischen Königs Wenzel I. weite Teile Nordmährens mit Bau- und Handwerkern seiner norddeutschen Heimat, darunter auch Mährisch-Neustadt und seine Umgebung, in der zu dieser Zeit viele deutsche Dörfer gegründet wurden. Nachdem der tschechische Reformator Jan Hus im Jahre 1415 als Ketzer verbrannt worden war und sich seine empörten (meist tschechische) Anhänger gegen König Wenzel II. und die katholische Kirche auflehnten, entbrannte bald ein blutiger Bürgerkrieg, in dessen Verlauf die radikalisierte Untergruppe der Taboriten die Oberhand bekam. Somit wandelte sich, wie schon so oft, eine ursprünglich religiöse Auseinandersetzung in einen vorwiegend politischen Konflikt. In dieser Zeit entstanden regelrechte husitische Heere, die sogar den Einmarsch Kaiser Sigismunds nach Böhmen (zur Unterstützung König Wenzels) abwehren konnten und sich dann als wilde, brandschatzende, plündernde und schändende Horden gegen katholische, königstreue Städte aufmachten.


Ein solches Heer stand nun am Tage vor Mariä Himmelfahrt im Jahre 1424, also in Mitten dieser Hussitenkriege, vor der königlichen Stadt Mährisch-Neustadt und zündete bereits die Vorstadt an. Als die übermächtigen Feinde - wie zunächst nur mündlich überliefert wurde - ein an der Stadtmauer gelegenes Minoritenkloster auslöschten und die Mönche in Pechfässern verbrannten, blieb den unterlegenen, der Vernichtung preisgegebenen Bürgern der Stadt nur noch das innige Flehen um göttliche Hilfe.


Während sich besonders die Frauen mit ihren Gebeten an die Gottesmutter richteten, gelobten die Männer einen alljährlichen Bußgang um die Stadtmauer verbunden mit einem Fasttag, wenn sie Rettung erhalten würden.

Das Gelöbnis der Cordula:

Eine junge Frau namens Cordula, die aus dem Nachbarort Littau kommend vom dazwischenliegenden Pinker Berg aus das Unheil sah, gelobte der Gottesmutter, dass sie


  • alljährlich aus eigenen Mitteln so viel Wachs besorgen würde, um daraus mit eigenen Händen einen Wachsstock zu ziehen, der die gesamte Stadtmauer umspannt, wenn doch die Stadt nur gerettet werden würde.

Als die Feinde tatsächlich völlig unerwartet innehielten und die Stadt verschonend abzogen, konnten die Neustädter dies nur damit erklären, dass ihre Bitten erhört wurden.


Der Legende nach berichtete die fromme Cordula, dass sie mit eigenen Augen sah,


  • wie eine riesige Frauengestalt auf den Wolken über der Stadt schwebte und mit ihrem schützenden, ausgebreiteten blauen Mantel das Feuer abwehrte, was die Angreifer in Angst und Schrecken versetzt hätte.

Das Wachsstockgelöbnisbild zeigt daher auch gerade diese Szene mit der über der Stadt schwebenden Gottesmutter Maria. Mag sein, dass es sich in nüchterner Sichtweise vielleicht nur um ein heftiges Gewitter gehandelt hat, dessen Regen das Feuer löschte und dessen Erscheinungen (möglicherweise sogar ein an eine Frauengestalt erinnerndes Wolkenbild) die Angreifer verängstigte.


Es bleibt aber, dass die Stadt, einem Wunder gleich, vor dem sicheren Untergang bewahrt wurde. Gott hatte ihnen dadurch nicht nur ihr Leben, sowie Hab und Gut neu geschenkt, sondern mit Sicherheit auch einen noch festeren Glauben.

In tiefer Dankbarkeit priesen die Geretteten Maria und übertrugen ihr Gelübde - und besonders das der Cordula, welches diese selbst noch 16 Jahre lang erfüllt haben soll - von Generation zu Generation über nun mehr als ein halbes Jahrtausend. Die Aufgabe der Cordula übernahmen danach angesehene Bürgersfrauen, die später Wachstockfrauen genannt wurden.

 
 

Die Entwicklung des Wachstockgelöbnisfestes:

Wenn auch die Darbietung des Wachstockes in Verbindung mit einer festlichen Prozession um die Stadtmauer erst ab dem Jahre 1719 Einzug hielt, wurde das Gelöbnis der Cordula bereits seit der wundersamen Errettung der Stadt im Jahre 1424 unermüdlich weitergeführt und durch einen alljährlichen feierlichen Gottesdienst mit Weihe eines geschmückten Wachstocks bekräftigt.


Erste schriftliche Erwähnung findet dieser fromme Brauch durch den Stadtpfarrer Johannes Welwarsky im Jahre 1582. Seine Niederschrift wurde dann später, am 19.01.1629, vom Olmützer Fürst-Bischof Kardinal Franz von Dietrichstein durch eine Urkunde feierlich bestätigt und mit der Mahnung versehen, dieses Gelöbnis bis in alle Zukunft aufrechtzuerhalten.

In früheren Jahrhunderten gab es nur während der schwedischen Besatzungszeit (1642 – 1650) und durch das allgemeine Bittgänger-Verbot von Kaiser Josef II (im Jahre 1781) Unterbrechungen dieser Tradition. Selbst während einer kurzen Zeit des Utraquismus, in der diese den Laienkelch fordernde Untergruppe der Hussiten das kirchliche Leben bestimmte, und auch während der Reformationszeit, überdauerte das Gelöbnis. Nach Errichtung der Mariensäule am Neustädter Marktplatz (Grundsteinlegung war im Jahre der Heiligsprechung des Johann von Nepomuk 1729) war diese dann der Zielpunkt jener festlichen Wachstock-Prozession. Ein Bild der Mariensäule, wird daher vor unserer Weingartenkappelle zum Gedenken aufgestellt; und auch unsere kleine Prozession um die Kapelle macht hier Station.


Einen besonderen Aufschwung erhielt das Fest während der Romantik. So wurde im Jahre 1822 das Wachstockfraueninstitut gegründet, welches durch seine Statuten im Wesentlichen festschreibt,

  • dass 12 ehrbare „Matronen“ besonders durch den feierlichen Umzug mit dem jährlich gestifteten 41 Pfund schweren Wachsstock am Sonntag nach Mariä Himmelfahrt die dankbare Erinnerung an die Gnade der Gottesmutter wachhalten sollen.


Es ist u.a. sogar festgeschrieben, dass im Falle eines kleineren Wachsstockes das eingesparte Wachs in Form von Messkerzen gespendet werden soll. Die Wachsstockfrauen sind aber auch verpflichtet, zu allen hohen kirchlichen Feiertagen in ihrer besonderen Tracht (nach Altwiener Art) im Hochamt zu erscheinen, und sie haben dafür Sorge zu tragen, dass der Wachstock während einer jeden heiligen Messe entzündet wird. Sie sind aber auch angehalten, „für die Weckung und Belebung der sittlichen und religiösen Gefühle heranwachsender Frauen - nicht zuletzt auch durch eigenes gutes Beispiel - zu sorgen“. Aus der Folgezeit stammt auch die Tradition, die damals moderne Schubertmesse (komponiert im Jahre 1826) während des Festgottesdienstes zu singen.


Ab 1941 konnte das Fest nicht mehr in der alten Heimat gefeiert werden. Bis 1944 wurde es von der nationalsozialistischen Stadtführung angeblich aus „Verkehrssicherheitsgründen“ verboten, 1945 sorgte die Sowjet-Armee dafür, und von 1946 bis 1948 schließlich die Vertreibung der Deutschen aus Mährisch-Neustadt.

Obwohl das Fest bis zum Jahr 1948 wohl insgesamt 18-mal aus den oben genannten Gründen nicht öffentlich gefeiert werden konnte, ist davon auszugehen, dass aber das Gelöbnis bezüglich der Beschaffung und Weihe eines Wachstocks durchgehend, zumindest in eher privater Form, seitens der Wachstockfrauen und ihrer Familien eingehalten wurde.


Das Wachstockfest nach der Vertreibung in Folge des 2-ten Weltkrieges:

Viele der vertriebenen Mährisch-Neustädter wurden verstreut in Mittel- und Nord-Hessen angesiedelt, wobei vornehmlich im Kreis Wolfhagen und besonders im katholischen Naumburg eine größere Gruppe an einem gemeinsamen Ort ansässig wurde. Bereits seit dem 18.8.1946 trifft sich dieser Teil der Heimatvertriebenen alljährlich in und an der Weingartenkapelle in Naumburg, um dort dieses Fest zunächst in eigener Initiative zu begehen. Im Jahr 1949 wurde dann aber offiziell das erste gemeinsame Wachstockfest aller Mährisch-Neustädter nach der Vertreibung in Ihrer Patenstadt Limburg an der Lahn gefeiert. Diese 525. Einlösung des Gelöbnisses konnte, wie auch in den Folgejahren, in der Kirche des ortsansässigen Pallottiner-Klosters abgehalten werden.

 
 

Die Nachfeier des Wachstockfestes an der Naumburger Weingartenkappelle:


Dennoch wurde aber das lokale Wachstockfest an der Naumburg Weingartenkapelle nicht aufgegeben, sondern als Nachfeier jeweils am 2-ten Sonntag nach Mariä Himmelfahrt fortgeführt, nicht zuletzt auch, weil viele der Älteren nicht mehr nach Limburg reisen konnten. Weil aber (im Gegensatz zu Limburg) die direkt in Naumburg lebenden Mährisch-Neustädter durchaus einen merklichen Teil der katholischen Kirchengemeinde ausmachten, wurde sogar für eine gewisse Zeit ab 1951 (auf Initiative des Neu-Naumburgers Erhart Raschendorfer) der in Limburg geweihte Wachsstock in der Naumburger Pfarrkirche aufbewahrt und unter der Obhut der hier ansässigen drei Wachstockfrauen bei jedem Hochamt entzündet. Dies wurde so auch im Verkündigungsbuch der Naumburger Kirchengemeinde durch den damaligen Stadtpfarrer Josef Kreß eingetragen, der die Mährisch-Neustädter und auch ihr mitgebrachtes Gelöbnisfest warmherzig in die Kirchengemeinde aufgenommen hatte.


Die Liturgie der Naumburger Nachfeier des Wachstockfestes wurde anfangs von Pfarrer Emil Wanke zelebriert, was er über viele Jahre hinweg (jeweils eine Woche zuvor) bereits in Limburg getan hatte. Pfarrer Wanke, der noch Kaplan in Mährisch-Neustadt war und dann als Pfarrer in Gudensberg wirkte, hat sowohl durch sein einnehmendes Wesen als auch durch seine mitreißende Hingabe wohl auch dazu beigetragen, dass dieses Fest der Mährisch-Neustädter Heimatvertriebenen schnell auch von den einheimischen Naumburgern angenommen wurde. Bald kam dann auch Stadtpfarrer Karl Rudolf als Co-Zelebrant hinzu, und später auch sein Nachfolger Ulrich Trzeciok, der schließlich den Festgottesdienst über viele Jahre hinweg mit großer Würde und Verbundenheit allein gehalten hat. Es ist ihm dabei gelungen, uns Naumburgern immer wieder den Sinn eines solchen Gelöbnisfestes, gerade auch in der heutigen Zeit, nahezubringen. Nach seinem Übertritt in den Ruhestand leitet Pfarrer Trzeciok, der ja selbst als Kind aus seiner schlesischen Heimat vertrieben wurde, auch weiterhin diese Messfeier und wird dabei nun von seinem Nachfolger im Amt, Stadtpfarrer W. Johannes Kowal, begleitet. Auch hierin wird deutlich, dass dieses Fest über die Jahrzehnte hinweg zu einem festen Bestandteil des Naumburger Kirchenjahres geworden ist, auch wenn kaum noch gebürtige Mährisch-Neustädter gegenwärtig sind.



Die neuere Entwicklung des Wachstockfestes und seine aktuelle Bedeutung:


In Limburg hingegen wurde das Fest ausschließlich von den zusammenkommenden, naturgemäß immer weniger werdenden Mährisch-Neustädtern abgehalten und ist von einem mehrtägigen, die ganze Stadt einnehmenden Heimatfest (noch bis in die frühen 80-iger Jahre hinein) allmählich zu einem kleinen Treffen weniger Verbliebener geschrumpft.


Trotz der unübersehbaren Überalterung konnte das Wachsstockfraueninstitut um das Jahr 2010 herum noch einmal Nachwuchs aus der Generation der Flüchtlingskinder gewinnen. Schließlich wurde aber, allen Bemühungen zum Trotz, das Wachstockfest im Jahr 2019 zum letzten Mal in Limburg abgehalten. D as Wachstockfraueninstitut besteht aber z.Z. noch fort, und es vertraut seitdem die Fortführung dieses alten Gelöbnisfestes allein uns Naumburgern an. Nach langer Unterbrechung begleiten uns dabei seit dem Jahr 2010 sogar wieder zwei dieser neu gewählten Wachstockfrauen, die ja beide auch in Naumburg aufgewachsen sind. Allerdings wurde vor einigen Jahren nun auch in Mährisch-Neustadt selbst, das jetzt Unicov heißt, das Wachsstockfest von den dort lebenden tschechischen Katholiken aufgegriffen.


Hierdurch wird dieses Gelübde, das ja an die Errettung der einst deutschen Stadt vor der Vernichtung durch tschechische Truppen erinnert, sogar ein wenig zu einem Symbol der Völkerverständigung. Dies gilt umso mehr, als die neuerdings wieder so greifbar gewordenen Themen wie Krieg und Katastrophen, Not und Errettung, aber (spätestens seit 1949) auch Flucht und Vertreibung sowie Verlust und Neugewinn von Heimat eine zentrale Rolle spielen. Darüber hinaus macht sicher auch die ergreifende Liturgie, untermalt von Chorklängen und heute nur selten gehörten Kirchenliedern, einen besonderen Reiz dieses Festes aus.


Schon deshalb ist dieses Wachsstockfest in Naumburg, das wir zunächst auch weiterhin als „Nachfeier“ bezeichnen wollen, auch mehr als die bloße Pflege einer liebenswerten alten Tradition, oder als ein nettes Spätsommerfest unter freien Himmel bei Bratwurst, Bier und Blasmusik. Vor allem aber ist es ein Fest der tiefen Dankbarkeit, der unerschütterlichen Treue und nicht zuletzt auch der Zuversicht auf die Fürsprache der Gottesmutter Maria, wenn diese erfleht wird. Dies kommt besonders auch durch das Lied „Milde Königin gedenke“ zum Ausdruck, das während der kleinen Prozession um die Kapelle einst mit großer Inbrunst gesungen wurde und auch heute noch erklingt. All diese Elemente sind wohl auch wesentliche Bestandteile einer erfüllten Gottesbeziehung. Darum kann dieses Fest auch heute noch hier in Naumburg, wohin es die Zufälle nach Krieg, Flucht und Vertreibung geführt haben, eine für uns alle heilsame Botschaft übermitteln. Bestimmt auch deshalb hat das Wachstockfest in Naumburg seinen besonderen spirituellen Platz im Rahmen der Marienverehrung gefunden.

Vielleicht trägt ja sogar unter uns der Eine oder die Andere so einen kleinen „Wachsstock“ im Herzen, der in Dankbarkeit an zuteilgewordene göttliche Gnade erinnert und das Glücksgefühl einer (wie auch immer gearteten) Errettung wiederaufleben lässt.


Ich wünsche daher uns allen, dass auf diese oder ähnliche Weise ein wenig jenes Gefühls einer größeren Gottesnähe spürbar wird, das i.a. mit solchen Erfahrungen verbunden ist.

 
 


Wenn auch heute nicht nur die genannten Themen um Krieg und Vernichtung wieder näher rücken, sondern sogar die oben erwähnten „Verkehrssicherheitsgründe“ bei der Abhaltung von Prozessionen erneut besondere Beachtung erfahren, müssen glücklicherweise an der Weingartenkapelle diesbezügliche keine besonderen Vorkehrungen getroffen werden.


Matthias Raschendorfer im März 2023


Text und Bilder wurden uns freundlicher Weise von Herrn Matthias Raschendorfer zur Verfügung gestellt.



 

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W. Johannes Kowal
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